Alles nur Genderwahn oder müssen wir tatsächlich noch etwas tun in Sachen Gleichberechtigung der Geschlechter? Dieser Frage geht Mirko Drotschmann für Euch auf den Grund.

„Für echte Veränderung müssen wir uns von Schubladen lösen“

Woher kommen Vorurteile zu Männern und Frauen und was können wir dagegen tun? Ein Interview mit der Arbeits- und Organisationspsychologin Laura Röllmann von der Universität Leipzig.

Was sind eigentlich Geschlechterrollen?

Geschlechterrollen sind Erwartungen, die die Gesellschaft pauschal an Menschen, die sie in Männer und Frauen einteilt, stellt. Diese Erwartungen übernehmen wir von anderen. Ganz typische Erwartungen an eine Frau sind beispielsweise: Sie soll warmherzig, sensibel und kommunikativ sein. Männer sollen hingegen stark und durchsetzungsfähig sein.

Ist das denn nicht so? Frauen ähneln sich doch untereinander eher, als dass sie Männern ähnlich sind …

Das glauben wir doch nur, weil Unterschiede zwischen Frauen und Männern immer so betont werden. Schaut man genauer hin, stimmt das aber nicht! Wie ein Mensch ist – zum Beispiel eher kommunikativ oder eher still – ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich und hängt überhaupt nicht vom Geschlecht ab. Frauen untereinander können viel unterschiedlicher sein als ein Mann und eine Frau. Testosteron zum Beispiel gilt als das Hormon, das typisch männlich ist und Männer aggressiv macht. Aber: Testosteron kann auch zu sehr freundlichem Verhalten führen. Und es kann bei Frauen genauso hoch sein wie bei Männern.

Zudem finden sich viele Menschen in dieser Zweier-Ordnung gar nicht wieder. Betrachten wir es zum Beipsiel biologisch, können wir anhand verschiedener Merkmale – Hormone, Gene, Körpermerkmale – feststellen, dass es deutlich mehr Geschlechter als nur diese zwei gibt.

Wie entstehen solche Vorurteile, gerade in Bezug auf Mann und Frau?

Vorurteile entstehen, weil wir versuchen, Menschen auf den ersten Blick einzuschätzen um es uns damit im Alltag leichter zu machen. Eine Sache, von der wir glauben, dass wir sie von außen sehen können, ist das Geschlecht einer Person. Deswegen ist es eine „leichte“ Quelle für Vorurteile.  Außerdem haben sich die beschriebenen Rollenerwartungen über Jahrhunderte hinweg entwickelt – weil Frauen systematisch von Männern klein gehalten wurden. Dabei wurde eben auch gesagt, Frauen seien schwach.

Aber braucht man solche Schubladen nicht auch manchmal im Alltag?

Ja, das stimmt. Gewisse Schubladen können hilfreich sein, um die Umgebung einschätzen zu können. Aber es heißt nicht ohne Grund Vor-Urteil. Wir fällen also Urteile über Menschen, ohne richtig hinzusehen. Und die „Schubladen“ der Geschlechter helfen uns nicht. Viele Menschen leiden darunter.

Wann sind Geschlechter-Vorurteile gefährlich?

Sie bestimmen, wie wir über andere denken – und auch, wie andere über sich selbst denken. Im Mathe-Unterricht werden Mädchen unabhängig von der eigentlichen Leistung schlechter bewertet. Und haben sie mal eine bessere Note, sagen Lehrer*innen und Eltern: „Die Mädchen haben sich doll angestrengt, aber Jungs können das.“ Diese Erklärungs-Muster lassen die Mädchen dann trotzdem glauben, sie seien schlechter. Dadurch zeigen viele Frauen in Mathe später auch schlechtere Leistungen. Denn gegen so ein Vorurteil anzukämpfen, bedeutet Stress und Angst und verringert meine Leistungsfähigkeit.

Wie können wir uns Rollenklischees bewusst machen?

Indem man sie zum Beispiel in der Gruppe aufschreibt oder darüber spricht. Indem man sich selbst Fragen stellt: Was erwarte ich von Frauen und Männern? Und was stimmt damit vielleicht nicht? Wo habe ich mich blöd verhalten? Wo habe ich Personen ungerecht behandelt? Ich muss meine eigene Brille, mit denen ich auf Menschen schaue, abnehmen. So lasse ich Menschen den Freiraum, unterschiedlich und außerhalb der Norm zu sein.

Und wie können wir Rollenklischees überwinden und bekämpfen?

Die Einteilung in Schubladen kann man kaum verhindern. Aber man sollte sie durchlässig lassen. Und es gibt Maßnahmen die helfen, wie zum Beispiel Quoten. Für eine echte Veränderung müssen wir alle mitarbeiten und uns von Schubladen lösen. Die Welt ist nun mal kompliziert!

Benachteiligung der Frau

Wie viel Ingenieurinnen gibt es eigentlich in Deutschland? Verdienen Frauen weniger als Männer? Und wie sieht die Geschlechterverteilung im Bundestag aus? 6-mal Zahlen und Fakten.

55 Prozent

aller deutschen Abiturienten sind weiblich. Zu einem Studium entscheiden sich dann in etwa gleich viele Männer wie Frauen.

Ein Fünftel

der angehenden Ingenieure in Deutschland sind Frauen. Immer noch wählen Frauen eher soziale und Dienstleistungs-Berufe.

21,5 Prozent weniger

verdienten Frauen im Jahr 2016 in Deutschland – die sogenannte „Gender Pay Gap“, also die Geschlechtereinkommenslücke. Sie entsteht durch ungerechte Bezahlung, unterschiedliche Berufswahl und Teilzeit.

218 Frauen

sitzen derzeit im Deutschen Bundestag, bei 709 Abgeordneten – das sind so wenige wie seit 20 Jahren nicht.

625.000 Stellen

der 2,4 Millionen Führungspositionen in Deutschland waren 2016 mit Frauen besetzt – also rund 25,9 Prozent. Der Anteil stieg damit im Vergleich zum Vorjahr um einen Prozentpunkt, ist aber im internationalen Vergleich eher niedrig.

Jede Zehnte

aller höchsten Professorenstellen in Deutschland ist mit einer Frau besetzt – und das, obwohl etwa gleich viele Männer und Frauen ein Studium abschließen. Der Anteil der Frauen an den Universitäten nimmt immer stetiger ab, je höher die Funktion ist.

Selten im Nachteil

Männer haben es meistens ziemlich gut. Nur selten sind sie im Nachteil – zum Beispiel hier.

Beim Shoppen.

Die Auswahl! Die Sonderangebote! Die Anzahl der Schuhe, Shirts, Hosen und nicht zuletzt der Umkleidekabinen! Nicht zu vergessen die Auswahl an Geschäften selbst: In der Welt der Mode sind Frauen klar im Vorteil. Außerdem müssen Männer stets in die oberen Etagen wetzen oder, noch schlimmer, ins Untergeschoss – Gleichberechtigung sieht definitiv anders aus.

Beim Sorgerecht.

Zugegeben: Es hat sich viel bewegt bei den vergangenen Jahrzehnten zwischen Mann und Frau. Aber was im Falle der Scheidung in Sachen Kinder abläuft, hat mit Gleichberechtigung wenig zu tun. In den meisten Fällen hat die Frau klare Vorteile beim Sorgerecht für die Kinder. Denn da tickt der Staat immer noch wie zu Zeiten Konrad Adenauers. Den Männern wird einfach immer noch nicht zugetraut, dass sie sich um Kinder kümmern können …

Beim Feiern.

Ladies Night, Sektchen gratis hier, freier Eintritt dort: Sobald es abends auf die Piste geht, sind Frauen klar im Vorteil. Und zwar in fast allen Aspekten. Auch das Personal – Barkeeper und Türsteher – bevorzugt klar das weibliche Geschlecht. Für Jungs wird eigentlich jeder halbwegs lange Abend eigentlich immer teuer. Zumal erwartet wird, dass sie die Frauen auch noch einladen. Nicht fair!