Wer kennt es nicht: "Kind, sitz ́ nicht so viel vor dem Ding. Geh' lieber mal raus!" Doch verbringt die Jugend hierzulande denn wirklich so viel Zeit mit Online-Spielen? Sind es nur Jugendliche die spielen? Wie ist das mit Gaming in Deutschland?

„Computerspiele sind moderne Märchen“

Dr. Benjamin Bigl ist Kommunikations- und Medienwissenschaftler und leitet das Pilotprojekt „Medienpädagogisches Zentrum+“ in Torgau. Mit der #wtf?!-Redaktion hat Bigl über Computerspiele und deren Gefährlichkeit gesprochen.

Für Menschen, die nie zocken: Was macht Computerspiele so besonders?

Computerspiele sind eine moderne Form der Märchen. Sie versetzen uns in zauberhafte virtuelle Welten, die ich mir als Spieler selbst zusammendenken und mit der ich mich auseinandersetzen muss. Der virtuelle Spielraum lässt dabei für den Spieler Abenteuer wahr werden, die er so im normalen Alltagsleben nie erfahren kann. Das fasziniert und motiviert.

Sind Computerspiele also Teil unserer Kultur?

Computerspiele sind nicht nur Teil unserer Kultur, sondern Massenkommunikationsmedium unserer Zeit. Spiele prägen unsere Kultur und haben uns von Beginn der Evolution an begleitet – angefangen von einfachen Würfelspielen bis hin zu digitalen Computerspielen. Der niederländische Kulturwissenschaftler Johann Huizinga charakterisierte das „Spielen“ in den 1930er Jahren als eine freie Handlung, die als ‚nicht so gemeint‘ außerhalb des gewöhnlichen Lebens stattfindet. Sie nimmt den Spieler völlig in Beschlag, vollzieht sich innerhalb eines bestimmten Raumes, verläuft nach bestimmten Regeln und schafft Gemeinschaft. Diese Elemente treffen im Wesentlichen noch heute auf das Computerspiel zu. Die Tätigkeit des Computerspielens ist somit nichts anderes als „normales“ Spielen, nur eben mit Hilfe eines Computers oder einer Spielkonsole.

Machen Computerspiele süchtig?

Sucht ist nicht der richtige Begriff, da wir es ja nicht mit einem stofflichen Gegenstand wie zum Beispiel Tabak oder Alkohol zu tun haben. Letztlich sind wir als Spieler – aber besonders Eltern und Pädagogen – gefordert, problematische Nutzungsweisen zu erkennen und diesen vorzubeugen. Maßvolles Computerspielen kann durchaus dazu beitragen, soziale Kompetenzen zu fördern, das logische Denken in strategischen Zusammenhängen zu trainieren, sowie sich kreativ zu entfalten. Aber es gibt auch Mechanismen in Spielen, die motivieren zu glauben, immer weiterspielen zu müssen. Das Online-Rollenspiel „World of Warcraft“ ist dafür ein gutes Beispiel, da es auch weiterläuft, auch wenn man gar nicht spielt. Die Kompetenzen, diese Mechanismen zu erkennen und dann entsprechend selbstbewusst auch den Rechner auszuschalten, muss man erlernen.

Warum betrachten manche Menschen Computerspiele als gefährlich?

Die Frage, wie Computerspiele wirken, ist komplex und nicht einfach zu beantworten. Viele Faktoren bestimmen, wie kompetent der Spieler mit Computerspielen umgeht: seine Persönlichkeit, seine individuellen Vorerfahrungen, seine allgemeine Medienkompetenz, aber vor allem auch soziale Faktoren. Für den Laien liegt es oft auf der Hand, dass es eine Parallele gibt zwischen Brutalität mancher Spiele und dem aggressiven Verhalten von Menschen. Nur: So einfach ist es nicht. Die Art und die Beschaffenheit des Spieles, Geräusche und Spiel-Sounds spielen eine wichtige Rolle für das Erleben von Computerspielwelten, durch sie werden Stimmungen und Emotionen angeregt, mit denen Jüngere noch nicht umgehen können – daher ist auch nicht jedes Spiel für jedes Alter geeignet.

Manche meinen, vor allem brutale Computerspiele führen zur Radikalisierung? Stimmt das?

Alle Computerspiele, die in Deutschland verkauft oder online heruntergeladen werden, werden geprüft und erhalten ihre Kennzeichnung entsprechend des Jugendschutzgesetzes. Von den im Jahr 2019 geprüften Spielen haben weniger als 10 Prozent „keine Jugendfreigabe“ oder gar keine Kennzeichnung. Im Bereich des Extremismus haben wir jedoch das Phänomen, dass Rechtsextreme mit ihren Hassbotschaften und ihrer Ideologie die Gaming-Szene unterwandern. Dies geschieht vor allem online in Foren und auf Plattformen wie zum Beispiel Steam. Das liegt dann weniger an den Spielen selbst, sondern daran, dass diese Plattformen ihre eigenen Community-Regeln nicht anwenden.

Aber es gibt auch positive Gegenbeispiele wie „Half Life 2“ (2004), welches vom Widerstand gegen ein totalitäres System erzählt. Das Spiel ist ein herausragendes Beispiel, wie gesellschaftspolitisch kritische Entwicklungen in Spielen thematisiert werden können – trotz der expliziten Gewaltdarstellungen. Dennoch gehören diese Art von Spielen nicht in Kinderhände.

Nackt

Diskriminierung gibt es überall. Im Internet nennt man das Cybermobbing. Genau wie im reellen Leben gibt es auch online Homophobie, Rassismus und Sexismus. 

Mobbing

„Mobbing bedeutet, dass jemand für eine gewisse Zeit tyrannisiert wird“, sagt Peter Sommerhalter vom Bündnis gegen Cybermobbing. „Gerade beim Spielen ist Ausgrenzung schnell da.“ Tatsächlich erleben besonders Mädchen es häufig, dass sie in der Szene aufgrund ihres Geschlechts kleingemacht werden. „Die ist ein Mädchen und kennt sich mit sowas eh nicht aus“ – genau das ist diskriminierend und kann fatale Folgen haben.

Sommerhalter vergleicht das Geschehen online mit einem Königreich: Das Fußvolk liked oder meckert wie der Herrschende es will. Ein Großteil bleibt stumm, damit sie nicht selbst ins Visier geraten. Würde sich dieser Teil zusammen tun, könnten sie entgegensetzen: „Hey, warte mal, warum soll eine Spielerin denn weniger gut sein? Es ist engstirnig, sowas überhaupt zu denken!“ –  und so ein schönes Miteinander schaffen.

Laut einer Studie des Versicherungsunternehmens ARAG und des Bündnisses war jeder vierte Schüler hierzulande schon Opfer von Cybermobbing. Die meisten wurden über’s Handy, in Chaträumen oder auf Sozialen Netzwerken beleidigt oder bedroht. Mehr als 30 Prozent aller Schulen haben wöchentlich mit einem Fall von Online-Mobbing zu tun. Des Weiteren zeigt die Studie das Hauptmotiv der Täter: Sie handeln zum Spaß, aus Langeweile und nicht aufgrund der Persönlichkeit des Opfers. Interessant: Mehr als ein Drittel der Mobbenden waren selbst schon Opfer.

Wie fühlt es sich an

Cybermobbing hat viele Gesichter. Das zeigen auch die Beispiele der 12-jährigen Julia. Sie ist in den letzten Monaten gleich zwei Mal von Cybermobbing betroffen gewesen: In einer Chatgruppe bei Fortnite schickte ein Unbekannter jede Menge Links zu Videos mit Namen wie ‘Vater vergewaltig seine dreizehnjährige Tochter’“. Der Besitz und das Verbreiten solches Materials ist strafbar, und Julia fühlte sich durch die Links belästigt und bedroht. Ein Freund griff ein, löschte die Gruppe. Beim zweiten Vorfall ging es um eine Person aus Julias persönlichen Umfeld: Im Chat mit gemeinsamen Freunden forderte ihr Ex-Freund sie mehrfach auf, Nacktbilder zu senden. Julia beendete die Beziehung, blockierte ihn auf Instagram und anderen Kanälen. Doch er blieb dran, rief über ein fremdes Handy an und bedrohte sie.

Auswege 

Julia wandte sich an Freunde und schließlich an eine Hilfsstelle. Dort fand sie Unterstützung. Beide Fälle werden nun verfolgt, teilweise sogar gerichtlich. „Ich habe mich erst spät getraut, mit meinen Eltern darüber zu reden“, sagt Julia. „Ich wollte nicht, dass sie sich sorgen und habe mich geschämt.“ Doch ihre Eltern hatten viel Verständnis. Heute weiß Julia, dass ihr von vielen Seiten geholfen wird, wenn sie es zulässt. Spielen tut sie trotzdem noch, doch sie hat dazu gelernt: „Ich spiele nur noch mit Leuten, die ich wirklich kenne. Und wir nutzen private Chaträume im und außerhalb vom Spiel, um kein Risiko einzugehen.“

Es gibt Hilfsstellen und Webseiten mit Informationen zum Thema „Cybermobbing“. Eine gute Übersicht bietet: https://www.arag.com/de/cybermobbing/hilfe/

Direkte Hilfe findet ihr hier: www.juuuport.de

Spielend lernen

Computerspiele sind ein guter Zeitvertreib, wenn wegen Corona viele andere Freizeitbeschäftigungen wegfallen. Und die Zeit beim Zocken muss keineswegs verlorene Zeit sein: Viele Spiele können mit einem Lerneffekt auftrumpfen. #wtf?! stellt fünf Spiele vor, die ganz nebenbei noch das Gehirn trainieren.

Minecraft

In Minecraft starten die Spieler ihre Mission in einer unendlichen Welt, die komplett aus Blöcken besteht: Steinblöcke, Holzblöcke, Erdblöcke, Eisenblöcke… Alle sind abbaubar und können miteinander zu neuen Materialen oder Werkzeugen kombiniert werden. Dadurch können phantastische Bauwerke erschaffen werden. Das Spiel gibt keine Ziele vor. Die Spielenden bestimmen also selbst, was sie erreichen wollen. Minecraft regt so die Phantasie an, fördert die Kreativität und das räumliche Denken. Auch ist es möglich, innerhalb seiner Welt mittels sogenanntem Redstone einfache bis sehr komplizierte Schaltkreise zu bauen. Wissen, das im Physikunterricht noch hilfreich sein kann. Noch mehr Spaß macht es, gemeinsam mit Freunden Bauwerke zu erschaffen. Das ist im Mehrspielermodus problemlos möglich. Daher kann mit Minecraft auch die Teamfähigkeit trainiert werden

Daten und Fakten:

Plattformen (Auswahl): Computer, iOS, Android, Xbox One, Playstation 4, Nintendo Switch

Preise: zwischen 7,99€ (Smartphone) und 30,00€ (Konsolen)

Skribbl.io

Gesellschaftsspiele trotz Social Distancing? Das Online-Spiel skribbl.io macht’s möglich. Das Prinzip ist denkbar einfach und verfolgt das Konzept der Spielshow „Montagsmaler“: Ein Spielender wählt von mehreren vorgeschlagenen Begriffen einen aus, den er oder sie am Computer oder Tablet zeichnet. Alle anderen müssen über die Chatfunktion raten, welcher Begriff gemeint sein könnte. Wer den Begriff als erstes erraten hat, bekommt Punkte. Aber Achtung: Es gibt ein Zeitlimit! Skribbl.io kannst du super gegen deine Freunde spielen, wenn ihr euch in der realen Welt nicht sehen könnt. Oder du lässt dich online mit anderen Menschen rund um den Globus verbinden und spielst mit denen. So wird nicht nur deine Kreativität gefördert, sondern auch Wortgewandtheit ist gefragt.

Daten und Fakten:

Plattformen: Computer, Tablet

Preis: kostenlos

Anno

Ein Klassiker unter den Strategiespielen am PC ist Anno. Je nach Ausgabe kannst mit diesem Game in verschiedene Epochen der Weltgeschichte eintauchen, beispielsweise in die Jahre 1503 oder 1602. Sogar in die ferne Zukunft des Jahres 2205 kannst du damit reisen. Das neuste Spiel, Anno 1800, ist 2017 erschienen. Das Spielprinzip ist immer ähnlich: Die Spieler besiedeln auf einer Karte verschiedene Inseln, produzieren Waren und versuchen diese möglichst gewinnbringend zu verkaufen. Dabei sind ganz unterschiedliche Dinge zu beachten: Die Bevölkerung muss zum Beispiel immer genug Nahrung haben und möchte mit steigendem Wohlstand natürlich auch mit entsprechend höherwertigen Gütern versorgt werden. Dafür braucht es genügend Rohstoffe, die selbst abgebaut oder günstig erhandelt werden müssen. Die Wirtschaftssimulation schult nicht nur strategisches, sondern auch unternehmerisches Denken. Es erfordert Übung, die vielen Variablen alle gleichermaßen auf dem Schirm zu haben und damit umzugehen. Somit kann spielerisch der Umgang mit Komplexität erlernt werden.

Daten und Fakten (für Anno 1800):

Plattform: Computer

Preis: ca. 30€

Crazy Machines

Als Lehrjunge eines eher mehr als weniger zerstreuten Professors erfüllen die Spielenden mithilfe verrückter Maschinen Aufgaben. Dazu stehen immer nur eine begrenzte Auswahl an Gegenständen zur Verfügung; von Solarzellen über Dampfmaschinen und Basketbälle bis hin zu Gummihühnern ist alles dabei. Die Aufgaben scheinen dabei oft einfach. So muss oft „nur“ eine Lampe angeschaltet oder eine Falltür geöffnet werden. Für die Lösung müssen dann aber oft völlig absurde und meist witzige physikalische Kettenreaktionen aufgebaut werden. Dabei wird zum einen das logische und räumliche Denken geschult. Zum anderen können komplexe physikalische Zusammenhänge erkannt werden, wobei man sich naturwissenschaftlichen Phänomenen annähert (Wie funktioniert Schwerelosigkeit? Wann sind Hebel am effektivsten?). Und das wichtigste: Nicht nur die ironischen Kommentare des Professors, sondern auch die Tüfteleien machen total Spaß. Seit 2004 sind in unregelmäßigen Abständen verschiedene Versionen des Spiels mit immer neuen Aufgaben rausgekommen. Das jüngste Spiel Crazy Machines 3 ist 2016 erschienen.

Daten und Fakten (für Crazy Machines 3):

Plattform: Computer

Preis: ab 8,49€

Sims

Sich in die Rolle des Familienoberhaupts versetzen? Gleichermaßen alle Bedürfnisse im Blick haben? Gar nicht so einfach! Wer es einfach mal ausprobieren möchte, kann Sims spielen. Als Spieler wacht man über dem Schicksal eines Menschen. Man achtet darauf, dass dieser – und später auch seine Familienmitglieder – immer genug Essen haben, zur Schule oder zur Arbeit gehen, soziale Kontakte pflegen und einfach glücklich sind. Wie auch im echten Leben gilt: Das klingt manchmal schwieriger als es ist. Zu Beginn des Spiels kann man seine Figur nach den eigenen Vorstellungen erschaffen und ihr Charaktereigenschaften geben, die über den gesamten weiteren Spielverlauf entscheiden. Neben guter Planungsfähigkeit erlernst du bei Sims auch die Fähigkeit, dich in andere hineinzuversetzen. Ähnlich wie bei Minecraft wird auch die Kreativität gefördert, denn die Häuser deines Sims errichtest du nach deiner eigenen Vorstellung. Mittlerweile sind schon vier Teile der Spielreihe erschienen.

Daten und Fakten (zu Sims 4):

Plattformen: Computer, Xbox One, Playstation 4

Preis: ab 8,99€